6. März 2021
Gesetzesänderung verhindert Aufklärung des Cum-Ex-Skandals
Ein Urteil zeigt, wie durch eine versteckte Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes die Aufklärung von Steuer-Skandalen unmöglich gemacht wird.
Dieser Beitrag über das von uns geführte Verfahren ist zuerst auf Netzpolitik.org erschienen.
Die Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte sind der größte Steuerbetrug der deutschen Geschichte: Mindestens 32 Milliarden Euro hatten sich Finanzmarktakteure als Steuerrückerstattungen vom Staat auszahlen lassen, obwohl sie vorher keine entsprechenden Steuern gezahlt hatten. Auf den Milliardenbetrug folgte der zweite Skandal, nämlich die mangelnde Aufklärung des Steuerbetrugs von politischer Seite. Viele Forderungen gegen die Betrüger sind bereits verjährt, ein politischer Wille zur Aufklärung oder überhaupt zur ursprünglichen Verhinderung der Betrugsgeschäfte ist nicht erkennbar.
Auskünfte zur Aufklärung des Cum-Ex-Skandals
Um diesen Skandal im Skandal aufzuklären, hat Martin Modlinger von der Stiftung Erneuerbare Freiheit bei allen Landesfinanzbehörden Einsicht in die Akten zum Umgang mit den Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften beantragt. Er berief sich dabei auf die Informationsfreiheitsgesetze der Länder und des Bundes.
Sämtliche Finanzministerien lehnten die Anträge ab. Sie argumentierten, Bund und Länder müssten sich darauf verlassen können, dass die Protokolle zu Cum-Ex-Beratungen geheim sind und bleiben. Ansonsten würde die Vertrauenswürdigkeit der Behörden nachhaltig Schaden nehmen. Modlinger sah das genau umgekehrt: Wenn die Finanzbehörden hier nicht transparent über ihr Handeln oder Nichthandeln informieren, nimmt deren Vertrauenswürdigkeit in der Öffentlichkeit irreparablen Schaden. Er klagte also gegen die Intransparenz.
Transparenzpflicht durch die Hintertür ausgehebelt
Währenddessen arbeitete das Bundesfinanzministerium daran, die Informationsfreiheitsgesetze durch die Hintertür auszuhebeln, wie wir vor einem Jahr berichteten. Im E-Auto-Gesetz versteckte es eine Vorschrift, die Auskunftsansprüche ausschließen soll. Der Bundestag beschloss das Gesetz, ohne dass die Änderung zur Sprache kam.
In § 21a Finanzverwaltungsgesetz, der die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Finanzverwaltung regelt, heißt es seither: „Die Vertraulichkeit der Sitzungen ist zu wahren, wenn nicht im Einzelfall einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Für Beratungen im schriftlichen Verfahren gilt entsprechendes.“
Unter Berufung auf diese Vorschrift hat das Verwaltungsrecht Bremen jetzt Modlingers Klage auf Herausgabe von Akten zum Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandal abgewiesen: „Durch die Weitergabe dieser Informationen würde die Beklagte ihre Vertraulichkeitspflicht aus § 21a Abs. 1 Sätze 4 und 5 FVG verletzen“, so das Gericht in seinem Urteil vom 8. Februar.
Verwaltungsgericht weitet „Vertraulichkeit“ aus
Indem das Gericht sämtliche beantragte Unterlagen als vertraulich einstuft, geht es sogar noch über die angeordnete Vertraulichkeit des Finanzverwaltungsgesetzes hinaus. Denn das Gesetz betrifft nach seinem Wortlaut nur die Beratungen zwischen Bund und Ländern über einheitliche Verwaltungsgrundsätze, Regelungen zur Zusammenarbeit und allgemeine fachliche Weisungen. Nicht erfasst ist danach die interne Kommunikation der Landesfinanzbehörden, etwa im Vorfeld oder im Nachgang der Bund-Länder-Beratungen.
Das Bremer Verwaltungsgericht sieht das offenbar anders und folgt damit der Auffassung der Bremer Finanzverwaltung, die behauptet, dass die interne Kommunikation nicht von den Bund-Länder-Beratungen zu trennen sei. Das führt faktisch dazu, dass die Finanzverwaltungen der Länder komplett von den Transparenzpflichten nach den Landes-Informationsfreiheitsgesetzen ausgenommen sind. Auch das Bundesfinanzministerium könnte sich künftig standardmäßig auf die Ausnahme berufen.
Keine Informationsfreiheit in der Finanzverwaltung
David Werdermann von Thomas Rechtsanwälte kritisiert das Urteil des Bremer Verwaltungsgericht: „Wenn sich die Auffassung des Gerichts durchsetzen sollte, können sich Bund und Länder praktisch immer wechselseitig von den Transparenzpflichten der jeweiligen Informationsfreiheitsgesetze befreien. Das entspricht weder dem Grundrecht auf Informationsfreiheit noch dem Sinn und Zweck der föderalen Ordnung.“
Modlinger gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und wird die Zulassung der Berufung beantragen. Sollte er damit scheitern, liegt die Aufklärung der Steuerskandale alleine in den Händen der Justiz und der Politik selbst – die daran allerdings kaum Interesse zu haben scheinen.