9. Dezember 2020
Überprüfung der Zivilgesellschaft durch Verfassungsschutz bleibt geheim

Das Familienministerium lässt Projekte, die im Rahmen der Demokratieförderung Geld bekommen, vom Geheimdienst überprüfen. Wer betroffen ist, wird nicht mitgeteilt.
Geheimdienst überprüft Zivilgesellschaft
Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fördert seit vielen Jahren mit dem Programm „Demokratie leben“ zivilgesellschaftliche Projekte im Bereich der Extremismusprävention. Wie Anfragen der Linksfraktion im Bundestag ergeben haben, werden einige der geförderten Projekte vorher durch das Bundesamt für Verfassungsschutz überprüft. Grundlage ist das sogenannte Haber-Verfahren. Danach können alle Bundesministerien sich an den Verfassungsschutz wenden und um Auskunft darüber bitten, ob „verfassungsschutzrelevante Informationen“ über eine Person oder eine Organisation vorliegen. Der Inlandsgeheimdienst soll also mit darüber entscheiden, wer auf dem Boden der Verfassung steht und gefördert wird.
Die Praxis ist erheblicher Kritik ausgesetzt. Insbesondere wird bemängelt, dass Projekte, die sich etwa gegen Rechtsextremismus engagieren, verdächtigt werden, „linksextremistische Bestrebungen“ zu verfolgen. Zudem ist zweifelhaft, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die geeignete Behörde ist, um die demokratische Haltung der Projekte zu beurteilen. Schließlich ist der Geheimdienst in einen Skandal nach dem nächsten verwickelt und schon länger dem Vorwurf ausgesetzt, auf dem rechten Auge blind zu sein.
Verstoß gegen Datenschutz und Grundrechte
Auch rechtlich ist die Praxis äußerst umstritten. So kritisiert der Bundesdatenschutzbeauftragte, dass es für die Datenübermittlung an den Verfassungsschutz keine Rechtsgrundlage gibt. Ein Gutachten im Auftrag des Bundesverbands Mobile Beratung kommt zudem zu dem Schluss, dass die Überprüfung unverhältnismäßig ist.
Hinzu kommt: Die betroffenen Projekte werden nicht über die Überprüfung informiert, noch nicht einmal dann, wenn sich herausstellt, dass keine „verfassungsschutzrelevanten Informationen“ vorliegen. Sie erhalten daher keine Gelegenheit, sich gegen die Praxis zu wehren. Um Licht ins Dunkel zu bringen hat unser Mandant Arne Semsrott von FragDenStaat daher eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. Er verlangt Auskunft darüber, welche Organisationen überprüft wurden.
Intransparenz zerstört Vertrauen
Die Begründung, mit der der Antrag abgelehnt wird, ist verblüffend. Wenn bekannt würde, welche Projekte überprüft werden, wäre die „Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“ gestört. Die Funktionsfähigkeit des Programms und damit des Familienministeriums würde beeinträchtigt. Daher liege eine Gefahr für die „öffentliche Sicherheit“ vor, ein Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 2 Informationsfreiheitsgesetz.
Die Argumentation ist absurd. Nicht die Bekanntgabe der Überprüfung zerstört Vertrauen, sondern die Überprüfung selbst. Die Geheimniskrämerei des Ministeriums verschärft das Problem sogar. Denn im Moment muss jedes Projekt davon ausgehen, überprüft zu werden. Würde das Ministerium mit offenen Karten spielen, wüssten die Projektträger wenigstens woran sie sind. Auch die Betroffenen stören sich an dem intransparenten Vorgehen. „Nicht die notwendige Information der betroffenen Projektträger, sondern die intransparente Kooperation mit dem Geheimdienst zerstört das Vertrauen in das Ministerium“, erklärte Bianca Klose, Sprecherin des Bundesverbands Mobile Beratung gegenüber Netzpolitik.
Verwaltungsgericht weist Klage ab
Leider hatte das Ministerium vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit seiner Argumentation Erfolg. Unsere Klage (Az. VG 2 K 126.18) wurde abgewiesen. Sobald das schriftliche Urteil vorliegt, werden wir prüfen, ob wir für unseren Mandanten Berufung einlegen. Bis dahin ist es an den Projektträgern, Auskunft zu verlangen. Gestützt werden kann ein solcher Anspruch etwa auf § 29 VwVfG oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Mehr Infos bei unserem Kooperationspartner FragDenStaat.
