12. November 2020
Schlag gegen Zensurheberrecht: Gutachten befreit
Urteil des Landgerichts Köln: FragDenStaat darf das Glyphosat-Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung veröffentlichen.
Mit einem riesigen Erfolg für die Informations- und Meinungsfreiheit endet das Verfahren unseres Mandanten Arne Semsrott von FragDenStaat vor dem Landgericht Köln. Das Gericht hat entschieden, dass das Glyphosat-Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung im Internet veröffentlicht werden darf.
Unser Mandant hatte das Gutachten bereits 2018 durch eine IFG-Anfrage erhalten. Allerdings mit dem Hinweis, dass es nicht veröffentlicht werden darf. FragDenStaat tat dies trotzdem und kassierte prompt eine einstweilige Verfügung. In einem ersten Verfahren erreichten wir bereits 2019, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben wird. Der Grund war formaler Natur: Die (mit Steuergeldern) gut bezahlten Großkanzlei-Anwält*innen des Bundesinstituts haben es nicht geschafft, die Verfügung ordnungsgemäß zuzustellen.
IFG soll kritische Auseinandersetzung ermöglichen
Jetzt hat das Landgericht auch in der Sache entschieden und das Urteil vom 12. November 2020 (Az. 14 O 163/19) fällt eindeutig und grundsätzlich aus: Die Behörde kann sich nicht auf das Urheberrecht berufen, um unseren Mandanten mundtot zu machen. Das Verbot der Veröffentlichung stehe „in Widerspruch zur gesetzlichen Zielsetzung des IFG, nach der die Beteiligungsrechte der Bürger verbessert werden sollen, indem eine kritische Auseinandersetzung mit behördlichen Entscheidungen gewährleistet werden soll“, so das Landgericht.
Das Gutachten sei bereits durch die erstmalige Übersendung an unseren Mandanten veröffentlicht worden. Das hat zur Folge, dass sich die Behörde nicht mehr auf das Erstveröffentlichungsrecht nach § 12 UrhG berufen kann. Hinsichtlich der urheberrechtlichen Verwertungsrechte kommt zudem das Zitatrecht nach § 51 UrhG zur Anwendung. Da die Veröffentlichung in einen kritischen Beitrag über die Geheimhaltungsstrategie des Bundesinstituts eingebunden war, handelte es sich um ein langes, aber rechtmäßiges Zitat.
Kampagne von FragDenStaat erfolgreich
Schließlich ging das Landgericht sogar noch einen Schritt weiter und stufte das Gutachten als „amtliches Werk“ ein, das nach § 5 Abs. 2 UrhG keinen urheberrechtlichen Schutz genießt. Der Grund ist Folgender: Nach der einstweiligen Verfügung gegen unseren Mandanten, hatte FragDenStaat auf seiner Homepage für alle Interessierten die Möglichkeit geschaffen, mit wenigen Klicks selbst einen IFG-Antrag zu stellen. Hiervon machten innerhalb weniger Tage über 40.000 Personen Gebrauch, was das Bundesinstitut vor enorme Herausforderungen stellte. Die Behörde schuf daher eine eigene Homepage, auf der das Dokument heruntergeladen werden konnte, und erließ eine Allgemeinverfügung, mit der sämtliche IFG-Anträge vorab positiv beschieden wurden.
In seinem Urteil führt das Landgericht Köln jetzt aus, dass spätestens mit Erlass dieser Allgemeinverfügung das Gutachten „zur allgemeinen Kenntnisnahme“ veröffentlicht worden sei. Mit der Kampagne hat FragDenStaat somit mittelbar das Glyphosat-Gutachten komplett vom Urheberrecht befreit.
Offene Fragen
Wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn keine Allgemeinverfügung erlassen worden wäre, ließ das Landgericht offen. In der Begründung deutet es jedoch an, dass Unterlagen, die nach dem IFG herausgegeben werden, grundsätzlich als amtliche Werke einzustufen sind.
Möglicherweise wird diese Frage noch in den höheren Instanzen geklärt. Denn es ist davon auszugehen, dass das Bundesinstitut in Berufung geht. Jedenfalls hat es bisher keine Kosten und Mühen gescheut, den Bürgerinnen und Bürgern beim Informationszugang möglichst viele Steine in den Weg zu legen. Mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin (Az. VG 2 K 175.19) versuchen wir gerade herauszufinden, wie viele Steuergelder dadurch bereits verschwendet wurden.
Presse
Netzpolitik.org (4.7.2019): Zensurheberrecht: Glyphosat-Gutachten darf wieder veröffentlicht werden
heise online (5.7.2019): Urheberrecht: FragDenStaat darf Glyphosat-Gutachten wieder veröffentlichen
Legal Tribune Online (5.7.2019): “Frag den Staat” veröffentlicht Glyphosat-Gutachten wieder
taz (11.12.2019): Urheber mit Geheimnis
Netzpolitik.org (12.11.2020): Glyphosat-Gutachten durfte veröffentlicht werden
heise online (12.11.2020): Urheberrecht: FragDenStaat hat Glyphosat-Gutachten legal publiziert
LTO (12.11.2020): Glyphosat-Gutachten darf veröffentlicht werden
Golem (13.11.2020): Kein urheberrechtlicher Schutz für Glyphosat-Gutachten